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Urgedanken des Sozialen

Udo Herrmannstorfer

Autoreferat

Warum sind Menschen wie wir von der Idee der Dreigliederung so angetan? Sind wir auf sie fixiert, weil sie zu unserer persönlichen Lieblingsmeinung geworden ist oder, sofern wir mit der Anthroposophie verbunden sind, weil Dreigliederung einfach dazu gehört? Das wäre sehr unbefriedigend. Was also macht sie auch nach fast 100 Jahren so aktuell, so herausragend, zu etwas, das über alles Persönliche weit hinausgeht? Worum geht es bei dieser Dreigliederung des sozialen Organismus im Kern?

Beim Thema Dreigliederung des sozialen Organismus geht es um die Neuordnung der sozialen Beziehungen nicht nur von Menschen untereinander, sondern auch im Verhältnis zur Erde und zum Kosmos. Der Grund dafür liegt am Entwicklungszustand, den wir als Menschen gegenwärtig erreicht haben.

Von den Umkreiskräften zu den Einzelkräften

Die Menschen sind in der Vergangenheit heraus-gewachsen aus einer umfassenden Ordnung, in der alles noch eine Einheit bildete und alles seinen Platz hatte. Vom ersten Moment an war jedoch in diesem Kosmos die individuelle Menschwerdung veranlagt. Allmählich begann eine Ausdifferenzierung, die zwei Bewegungen erkennen lässt: Die Umkreiskräfte ziehen gewissermaßen in den Menschen ein und umgekehrt wird dieser dadurch immer wacher und selbstständiger, bis er in der Lage ist, sein Verhältnis zu der bisherigen kosmischen Ordnung zu hinterfragen. Der freiheitliche Mensch beginnt einen aktiven Platz in der Sozialordnung zu beanspruchen.

Diese gewaltige Doppelbewegung die Bewegung aus dem Umkreis hinunter zum Menschen und die Bewegung, die vom Menschen ausgeht, der immer wacher und wacher wird liegt aller Entwicklung zugrunde. Und das gilt auch sozial, auf Gemeinschaften bezogen: Am Anfang dominieren die Gemeinschaftskräfte — die sozialen Umkreiskräfte —, dann ziehen sie sich zurück, die Kräfte des Einzelnen werden wacher, geraten selbst ins Zentrum bis zu einem Umschlagpunkt, von dem ab sich das Alte nicht mehr aufrechterhalten lässt. Ist der Mensch erst einmal wach geworden, lässt sich das nicht mehr umkehren. Von dem Moment an, in dem die Eigenständigkeit erwacht, bekommt man „den Geist nicht mehr in die Flasche zurück". Damit muss sich aber auch im sozialen Beziehungsgefüge etwas grundlegend verändern.

Zwei Bedingungen für Veränderung

Dieses Umschlagen hat zwei Bedingungen die eine lautet: Es muss menschheitlich möglich sein, dass einzelne Menschen diese Fragen zu stellen beginnen. Dreigliederung ist nicht nur etwas für Deutschland, für die Schweiz, für Mitteleuropa, für Europa, für die westliche Welt. Sie muss auch Menschen, die aus ganz anderen Traditionen kommen, zugänglich sein. Das ist ein Thema, das viele von uns bewegt. Dies gilt für jede geistige Entwicklung: Etwas, das einmal erarbeitet und begriffen wurde, steht der ganzen Menschheit zur Verfügung. Damit es aber angewendet werden kann, muss der Mensch ganz auf der Erde angekommen sein. Dieser Moment des Angekommen-Seins auf der Erde, zu dem die Aufklärung uns geführt hat und den wir als Freiheitsgefühl so bejubeln, bewirkt auf der anderen Seite, dass das bisher aus dem Umkreis wirkende Geistige verblasst: Es kommt zu der ungeheuren Widersprüchlichkeit, dass unser Weg zur inneren Helligkeit zunächst mit einer Verdunklung der geistigen Kräfte in der Welt einhergeht.

Es ist aber noch ein zweiter Schritt notwendig: Nicht nur das sich entwickelnde Ich muss sich erheben und auf sich selbst stellen es muss ihm auch etwas entgegenkommen, etwas, das wir das höhere Selbst nennen. Das ist sehr schön dargestellt bei Goethe im seinem Märchen' oder bei Rudolf Steiner im seinen Mysteriendramen2. Im Märchen ist von einem unter-irdischen Tempel die Rede die großen Gestaltungskräfte sind noch unterirdisch im Tempel zu Hause, sind noch nicht öffentlich verfügbar. Dann erfolgt ein neuer Ruf „Es ist an der Zeit!" —, der durch Menschen ausgelöst wird, die durch ihre Erdenerfahrung ein solches Bewusstseinsstadium erreicht haben, dass sie wach genug sind, die Aufforderung zu hören, die ihnen aus dem Tempel entgegenkommt. Was früher nur im Dunkel der Mysterien gewusst werden konnte, kann und muss öffentlich werden.

Wir, so wie wir geworden sind mit all unseren Schwächen, sind nicht die Krönung der Menschheit. Damit ist vielmehr etwas Menschheitliches gemeint, das aber erst zum konkreten Ausdruck kommen kann im Einzelnen. „Es schlummern in jedem Menschen Fähigkeiten, durch die er sich Erkenntnisse über höhere Welten erwerben kann." Diesen Satz stellt R. Steiner an den Anfang seines Werks „Wie erlangt man Erkennt-nisse der höheren Welten?"' Schiller drückte das in seinen „Ästhetischen Briefen"4 auf seine Weise aus. Der Mensch darf in dem Moment, wo er ganz bei sich angekommen ist, nicht stehenbleiben bei dem, was er geworden ist, sondern braucht jetzt wie eine Vorahnung dessen, was er werden kann.

Wie müssen nun die sozialen Verhältnisse beschaffen sein, dass diese Entwicklungen sich vollziehen können? Niemand kann so etwas über Mitmenschen verfügen oder von ihnen verlangen, aber wir können Bedingungen schaffen, unter denen Tatsache wird, was eben anzudeuten versucht wurde.

Vom Gewordenen zum Werdenden

So gesehen sollte man das, was wir Dreigliederung nennen, nicht festmachen an einzelnen Elementen, sondern auf diese Grundsituation beziehen. Der Ansatz der sozialen Dreigliederung soll dazu beitragen, dass das Beziehungsgefüge der Menschen sich in einer Art verändert, dass das Kraftgefüge, das die Vergangenheit bestimmte und uns wie von außen gehalten hat, ersetzt wird durch werdende Kräfte.

« Die Dreigliederung fragt: Wie kann Neues entstehen? Wie lassen sich Prozesse initiieren, die diese oder jene Lösung hervorbringen?

Moderne Formen im Sozialen müssen zum ständigen Werden anregen. Sie dürfen nicht in das Alte hinein gerinnen. Es muss zu einer Wende kommen, die das Ich aus der Verfügbarkeit der Gemeinschaft heraus-nimmt und zum Ausgangspunkt von sozialen Beziehungsgestaltungen macht. Die dafür notwendige strukturelle Veränderung der sozialen Einrichtungen nennt man zusammenfassend „Dreigliederung des sozialen Organismus": Die alte Einheitlichkeit bricht auseinander, damit Neues entstehen kann.

In der Beobachtung des Zerfalls kann man erkennen, dass das Gesellschaftsgefüge nicht homogen ist, sondern die Einheit drei verschiedene sich durchdringende Beziehungsqualitäten umfasst:

Freiheitssphäre (Geistesleben)

Im Bereich der Freiheit, der Individualität, in dem das Individuelle den Ausschlag gibt, sind wir ganz auf uns selbst gestellt. Das Thema Freiheit ist dabei keine Einladung zur Subjektivität, sondern der Verweis auf Autonomie, auf Eigenständigkeit für die eigene Lebensgestaltung. Niemand kann hier über einen anderen verfügen, man kann sich nur freiwillig zusammenschließen.

Dies führt in diesem Bereich zu einem Verlust kollektiver Geschlossenheit, da individuelle Entwicklungen sich nicht im Gleichschritt ereignen, sondern Vielfalt hervorbringen. Damit umzugehen sind wir noch nicht gewöhnt: In der Freiheitssphäre des Geisteslebens sollte die Individualität maßgeblich sein. Man muss deshalb nicht alleine bleiben, kann vielfältigste Be-ziehungen knüpfen, aber der Ausgangspunkt dafür sind die Handlungsimpulse des Ich.

Gleichheitssphäre (Recht)

Die zweite Sphäre betrifft die Rechtsebene. Hier wird die Art der Beziehungen zwischen Menschen geregelt. Das ist vielleicht der komplizierteste Bereich, weil das für diese Sphäre zutreffende Charakteristikum einer „Mitte" nicht ganz einfach zu verstehen ist. Eindeutig beschreiben lassen sich nur Polaritäten. Die Mitte dagegen ist rhythmisch veranlagt, muss immer wieder erst hergestellt werden und ist daher ständig in Wandlung.

Das Rechtliche hat immer eine Tendenz zu Vereinbarungen ob das nun strenge Vereinbarungen sind, wie Gesetze oder Verträge, oder schlichte Absprachen zwischen Beteiligten, spielt keine so wesentliche Rolle: Es geht immer um ein Zusammenfinden zweier oder mehrerer Interessen. Insofern dient das Recht auch der Freiheit. Anders ist es jedoch, wenn es um Regelungen geht, die alle betreffen. Dabei tritt die Beteiligung am demokratischen Prozess an die Stelle der individuellen Autonomie. Man muss sich mehr und mehr klar werden, wo solche Regelungen überhaupt relevant sind, wo es eben nicht auf den Einzelnen ankommt, sondern auf das, was alle zusammen als rechtmäßig ihren Beziehungen zugrunde legen wollen. Diese Teilhabe am sozialen Prozess steht unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit.

Geschwisterlichkeitssphäre (Wirtschaft)

Der dritte Bereich das Wirtschaftsleben, wo wir füreinander arbeiten —, erschließt sich unserem Verständnis vielleicht am schwersten. Aktuell ist in dieser Sphäre, in der alles unter dem Hauptgesichtspunkt der Geschwisterlichkeit geschehen sollte, die Freiheit viel zu dominant: Denn nach wie vor wird die Wirtschaft unter dem Gesichtspunkt der marktwirtschaftlichen Liberalität organisiert. Ein spezielles soziales Verantwortungsbewusstsein sei nicht nötig, da die Marktkräfte selbst eine ihnen entsprechende Ordnung herbeiführten.

Die Frage nach dem Entstehen des Verantwortungsbewusstseins in der Wirtschaft ist der eine Aspekt. Den anderen betont Rudolf Steiner, wenn er sagt, dass es nicht nur einer anderen Gesinnung bedarf, sondern dass wir Strukturen schaffen müssen, die es nicht erlauben, dass es zu einem Überborden des Ich kommt. Solche „Assoziationen" sind notwendig, damit sich die individuellen Erfahrungen überhaupt zu einem sozialen Urteil verdichten und zu entsprechenden Korrekturmaßnahmen führen können. Wer das darin liegende Berechtigte nicht sehen kann, wird gleich vor Planwirtschaft und Bevormundung warnen, wenn man nur das Wort „assoziative Wirtschaft" in den Mund nimmt.

Das hat dazu geführt, dass wir über lange Zeit nicht in der Lage waren, die richtigen ökonomischen Fragen zu stellen. Auch heute tun wir uns ganz schwer damit: Sollen wir Gemüse aus der dritten Welt importieren oder unsere eigenen Bauern fördern? Niemand weiß die richtigen Antworten auf diese Fragen. Auf liberalem Weg, jeder für sich, werden wir sie auch nicht finden. Aus der Dringlichkeit der Fragestellung bilden sich alle möglichen Kooperationsformen heraus. Wenn man dann aber sieht, welcher Art die Lösungsvorschläge sind, ist noch wenig Befriedigendes dabei.

Viele, wohl die meisten von uns, sind im Freiheitsbereich zu Hause, was sich nachvollziehen lässt was aber zu einer Vernachlässigung der beiden anderen Bereiche führte. Es ist jedoch wichtig, dass sie uns nicht entgleiten. Und da wir nicht mehr geschützt sind durch die alten Gemeinschaftsformen der Vergangenheit, ist es entscheidend herauszufinden, wie es auf richtige Weise zu einer neuen Verbindung dieser Bereiche kommen kann.

Die Frage nach dem höheren Ich

Bei alledem tauchen viele tiefer liegende Fragen auf, wie z. B. diejenige nach dem Verständnis des werdenden Menschen, ein zentrales Thema des Christentums, ohne das der Zukunftsaspekt des heren Selbst m.E. völlig in der Luft hängen bliebe. Ohne die Christustat könnten wir im Ich nur eine Übersteigerung der Persönlichkeit mit einer nach oben offenen Skala der Gefährdung sehen: Niemand weiß zunächst, was in dieser „Büchse der Pandora" alles drinsteckt, deren Oberfläche so harmlos aussieht. Wenn man.sie aber ein wenig öffnet, kommen alle möglichen Übel heraus, aber nicht das, was man erhofft. Ohne eine Antwort auf die Frage nach dem höheren Selbst ist auch die Frage nach der Gestaltung des sozialen Zusammenlebens nicht auf moderne Weise zu beantworten. In der Diskussion wird immer wieder eingewendet, dass es sich dabei doch um Weltanschauungsfragen handele, die als Privatangelegenheit aus den sozialen Gestaltungsaufgaben herausgehalten werden müssten. Es ist aber gerade umgekehrt, es handelt sich um Fragen, die man nicht verdrängen kann, sondern bewegen muss. Und wenn wir uns ernsthaft damit befassen, werden noch weitere Fragen auftauchen...

Wir sehen bei alledem, dass sich eine grundlegende Wende vollzieht eine Durchstülpung aus der alten Einheitlichkeit heraus durch das Ich hindurch, eine echte Neupositionierung. Dreigliederung heißt im Grunde nur, die Bedingungen dieser Neupositionierung zu verfolgen und auszugestalten helfen.

Fortschreitende Bewusstseinsseelenentwicklung

Das alles fällt nicht einfach so vom Himmel, sondern entwickelt sich in Schritten. Im Hinblick auf die Vergangenheit sprechen wir nicht von Dreigliederung im eigentlichen Sinne, obwohl sich kulturelle, rechtliche und wirtschaftliche Prozesse immer schon abspielten, seit Menschen miteinander zu tun haben. Immer schon gab es die Notwendigkeit einer Regelung dieser Zusammenhänge. Nicht das ist neu, sondern die Art, wie diese Themen zwischen die Menschen treten und zur Gestaltung anstehen. In unserer Zeit, die wir das Zeitalter der Bewusstseinsseele nennen, wird die Fragestellung nicht nur erweitert, sondern umgewandelt. Es ist äußerst wichtig zu wissen, dass jede Kulturepoche ihre eigene Aufgabe hat. Dazu muss das Vergangene erst unter dem neuen Gesichts-punkt wiederholt werden, bevor sich das Neue in seiner vollen Wirklichkeit zeigen kann.

Die letzten Jahrhunderte dienten der Einleitung der Bewusstseinsseelenentwicklung. Jetzt sind wir in der Situation, aus diesen Kräften der Bewusstseinsseele arbeiten zu wollen und zu müssen. Jetzt genügen Reformen der alten gesellschaftlichen Einheit nicht mehr. Mit der Entwicklung des wissenschaftlichen

Bewusstseins ging das alte Geistverständnis verloren: Es wurde dunkel, wirklich finster in Bezug auf das Verhältnis des Menschen zur geistigen Welt.

In dem gleichen Maße begann dafür ein Erwachen für die physische Welt. Damit stellte sich auch die Frage nach dem Wesen des Menschen und seiner sozialen Beziehungen. So entfaltete sich eine neue Kultur, die nicht nur zum Materialismus hinführte, sondern darüber hinaus die Notwendigkeit einer modernen erkenntnisgestützten Geisteswissenschaft sichtbar machte. Allerdings geriet die damit verbundene Emanzipation der Individualität nun mit dem Staatsgedanken aneinander: Zwar half der Staat dabei, das Individuum aus der alten geistigen Vormundschaft herauszulösen, ließ es aber dann nicht wieder los was sich an der Verquickung von Staat und Geistesleben in der Erziehung und vielen anderen Bereichen ablesen lässt. Dies, obwohl geistig-denkerisch in der seelischen Beobachtung jeder den existenziellen Nachweis erfahren kann, dass der Mensch im erkennenden Selbstvollzug nicht bloß an das Materielle gefesselt ist, sondern in der Lage ist, sich auch mit dem Geist individuell zu verbinden.

Im Bereich des Rechtslebens fand die große Verwandlung vor allem in Form der Französischen Revolution statt, die die alten sozialen Strukturen zum Einsturz brachte. An die Stelle hierarchisch gefügter Ordnung werden die individuellen Menschenrechte zur Grundlage der demokratischen Selbstgestaltung einer Gesellschaft erhoben. Auch dieser Teil der Revolution bleibt auf halber Strecke stecken, da man an der Einheitlichkeit des Staates festhält und sich darum die skizzierten drei Beziehungsqualitäten nicht so selbstständig entfalten können, wie es die Bewusstseinsseele zur ihrer Entwicklung benötigt.

Im Bereich der Wirtschaft hat sich eine arbeitsteilige Marktwirtschaft menschheitlich entfaltet, die zwar für einen Teil der Menschen einen zivilisatorischen Wohlstand erzeugt, jedoch noch kaum Strukturen und Prozesse ausgebildet hat, diese Kräfte verantwortungsvoll in den Dienst der sozialen Entwicklung zu stellen.

Nicht zu Ende gekommene Gliederungen

Die notwendige Gliederung der ursprünglichen gesellschaftlichen Einheit ist bis heute unvollständig. Einige der verbliebenen Überschneidungen führen zu Zuständen, die eine gesunde soziale Entwicklung vehement beeinträchtigen und die uns deshalb in der Dreigliederungsbewegung intensiv beschäftigen.

1. Das geltende Eigentumsrecht für Boden und Unternehmen. Eigentum ist ein Verfügungsrecht, ohne das man kaum handlungsfähig wäre. Aber kann man den Boden, den die Natur einer Menschengesell-schaft als Ganzes zur Verfügung stellt, beleihen oder verkaufen und damit auch die Bodenrente privatisieren? Aus ganz anderen Gründen stellt sich dieselbe Frage bei Unternehmen. Denn Unternehmen sind eine Zusammenarbeitsgemeinschaft. Kann man ein Unternehmen wie einen Gegenstand behandeln? Unsere Eigentumsregelungen für Boden und Unternehmen sind ursächlich für viele soziale Probleme verantwortlich vor allem in der Frage der gerechten Verteilung. Wie muss das Eigen-tum geordnet und gestaltet sein, dass nicht nur solche Schäden beseitigt werden, sondern Eigentum zur Gesundung der sozialen Verhältnisse führen kann?

2. Mit der Eigentumsfrage verbunden ist die Frage der Arbeitsregelungen. Die bestehenden Arbeitsverträge und -regelungen stützen sich weitgehend auf das Eigentum am investierten Kapital. Damit können sich die Arbeitsbeziehungen nicht auf dem Boden der Gleichheit und der Teilung durch Anerkennung entwickeln, sondern werden im besten Fall zum Tarifkampf. Damit wird Arbeit zum Marktartikel des Arbeitsmarktes und daher verkäuflich. Die Arbeitsgestaltung wird den Marktkräften der Wirtschaft selbst überlassen.

3. Einen dritten Komplex bilden die Fragen nach der Rolle des Geldes. Obwohl es längst seinen dinglichen Charakter verloren hat und seine Funktion die eines Rechtsdokumentes sein sollte, das uns das Wirtschaften erleichtert, wird es rechtlich wie eine Ware betrachtet, die an Finanzmärkten gehandelt werden kann und in der Verbindung mit Eigentumsrechten zum Machtinstrument wird. Die damit ausgelöste Entfesselung der Geldkräfte hat in der globalen Finanzkrise einen dramatischen Höhepunkt erreicht.

Alle drei Themen betreffen die Gliederungsproblematik und unterstreichen die Notwendigkeit der Gliederung in die beiden Beziehungsebenen Rechtsleben und Wirtschaft. Ähnliche Fragen gibt es auch in der Beziehung zwischen Recht und Kultur und zwischen Wirtschaft und Kultur. Das Einheitsdenken der Ver-gangenheit wirft seinen Schatten auf die Gegenwart, weil diese Probleme nicht konsequent gelöst wurden, als es an der Zeit war. Sie müssen aber gelöst werden, damit der notwendige Entwicklungsfortschritt von Mensch und Sozialität stattfinden kann.

Zurückgehen zu den Urgedanken

Eine der häufigsten Fragen im Rahmen der Dreigliederungsdiskussion bezieht sich darauf, ob und wann eine konkrete Einrichtung oder Maßnahme der Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus als Urgedanke entspricht.

Jeder, der für die soziale Dreigliederung wirken will, kann nicht in abstrakten Forderungen verharren, sondern muss diese Idee ins praktische Leben herunterdenken und damit reale Formen schaffen. Die Frage nach der Realisierung führt von allein zur Tendenz, zu allem und jedem eine fertige Vorstellung zu entwickeln, wie die Umsetzung aussehen könnte. Solange das jeder nur für sich macht, ist dies unproblematisch und macht das Denken lebendig. Sobald jedoch zwischen Menschen unterschiedliche Vorstellungen auftreten, entsteht die Frage nach der „Richtigkeit" einer Handlung: Für alles gibt es entsprechende Gründe. Dazu eine Bemerkung aus den Kernpunkten der Sozialen Frage: „Man hat sich in die Einrichtungen so eingelebt, dass man aus ihnen heraus sich Ansichten gebildet hat über dasjenige, was von ihnen zu erhalten, was zu verändern ist. Man richtet sich in Gedanken nach den Tatsachen, die doch der Gedanke beherrschen soll. Notwendig ist aber heute zu sehen, dass man nicht anders ein an den Tatsachen gewachsenes Urteil gewinnen kann, als durch Zurückgehen zu den Urgedanken, die allen sozialen Einrichtungen zugrunde liegen:5

Das ist eine Aufforderung zu einem anderen Vorgehen: Nicht eine Antwort allein ist die richtige, das „Soll", an dem andere gemessen werden. Jeder Mensch hat eine bestimmte Haltung, einen bestimmten Gesichtspunkt, hat bestimmte Erfahrungen gemacht, jede Situation hat ihre Eigenheit. Der methodisch neue Griff liegt nicht im Vergleich zweier ungleicher Handlungen, sondern im Erleben der Stimmigkeit zwischen der zur Verwirklichung drängenden Idee und einer konkreten Erscheinung. Zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen steht das „Urbild", der Urgedanke, dasjenige, was noch ganz unausgestaltet, noch potenziell ist, was nur in Bewegung erfahren werden kann. Dazu reichen nicht abbildhafte Vorstellungen, sondern es werden lebendige Gedankenformen benötigt. In den sozialen Beziehungen ist alles in Bewegung. Deshalb macht Rudolf Steiner darauf aufmerksam, dass man im sozialen Gestalten nur weiterkommt, wenn man die eigenen Erkenntnisfähigkeiten erweitert und zu den Qualitäten von Imaginationen, Inspirationen und Intuitionen vorstößt. Nur so könne man diese bewegten und komplexen Prozesse durchschauen. Normative Vergleiche werden dem nicht gerecht.

Bewegte Begriffe können Sachverhalte, die sich vorstellungshaft ausschließen, zu einem komplexen Ganzen zusammenschließen. Um dies erfahrbar zu machen, muss man einerseits ein Bewusstsein des Urbildlichen entwickeln und andererseits die Gesichtspunkte finden, die einer abweichenden Handlung zugrunde liegen. Daraus ergibt sich die Stimmigkeit einer Handlung, harmonisch oder dissonant. Urbilder sieht man äußerlich nicht, aber sie wirken schöpferisch in der Handlungsfindung mit und sind der Resonanzboden in der Reflexion.

Selbst Wahrnehmungsorgan werden

Um Mitgestalter sozialer Beziehungen werden zu können, müssen wir wahrnehmen und erkennen und nicht nur Statistiken bemühen. Dem stehen die hef-tigsten Einwände entgegen. Sie stützen sich darauf, dass unser Beteiligtsein am sozialen Leben uns in unserem Urteil subjektiv befangen und deshalb immer zur Partei macht. Den „Täter" müsse man nicht fragen, ob er etwas gut findet oder nicht. Überspitzt hieße das: Dass nur derjenige objektiv ist, der über Dinge spricht, bei denen er nicht dabei war. Daraus entsteht die Forderung nach gesellschaftlichen Normen, die objektiv über den Einzelnen stehen und damit eine bestimmte Erscheinungsform zeitweilig in den Rang eines Urbildes erheben.

Hier zeigt sich, dass es noch ganz unüblich ist, mit der Realität der Urbilder in sozialen Zusammenhängen umzugehen. Wir irren, wenn wir meinen, die Dreigliederung liefere das richtige „Rezept" für unsere Handlungen. Es ist niemand mehr da, der uns sagt, was wir zu machen haben. Aber Menschengemeinschaften können gebildet werden, die den Entwicklungsweg finden können. Auf diesem Weg nur mitzulaufen reicht allein immer weniger aus, wenn wir die sozialen Herausforderungen der Gegenwart bestehen wollen.

Bedingungen sozialen Gestaltens

Was aber fordert das heutige soziale Leben von uns?

Wachheit des Bewusstseins

Ohne ein erkennendes Bewusstsein kann der Mensch nicht verantwortlich handeln. Wir wollen uns vorher darüber klar werden, was wir tun und benutzen nicht andere Menschen als soziale Versuchskaninchen. Menschen sind keine Gegenstände des sozialen Lebens, sondern dessen Schöpfer. Kinder machen es uns vor, indem sie unserer Bevormundungstendenz die Fragen entgegenhalten: Warum? Wieso? Das dadurch ausgelöste Erwachen ist oft unangenehm, weil wir Widerstand erleben aber auf die Dauer kann man nur am Widerstand gewinnen.

Gestaltungsoffenheit, Ergebnisoffenheit

Wir müssen lernen, mit offenen Strukturen und Prozessen zu leben Ergebnisoffenheit bedeutet, dass man erst am Ende der Bemühungen wirklich weiß, was erreicht wurde. Das ist überall im Sozialen der Fall, wo andere Menschen beteiligt sind. Es ist die Konsequenz der Anerkennung ihrer Beteiligung. Wäre schon alles fertig, warum und worüber sollte man dann ins Gespräch kommen?

Mitverantworten, Mitgestalten

Möglicherweise wollen wir die Schwelle zur Selbstständigkeit überschreiten, uns aber immer noch so verhalten wie früher Damals hat man darauf vertraut, dass die sozialen Angelegenheiten von einer höhe-ren Instanz geregelt wurden. Jetzt nimmt der Staat diese Rolle ein. Doch jenseits dieser Schwelle der Selbstständigkeit blicken wir durch alle Aufgaben hindurch nur immer uns selbst an. Was kann ich tun? Wir finden uns in der Mitverantwortung wieder. Mitverantwortung fordert Mitgestaltung. Nicht was man tun soll, sondern was ich tun kann und will, wird entscheidend. Das ist der Grund, warum der Selbstverwaltungsgedanke eine so große Bedeutung hat: Er ist nicht nur eine Theorie darüber, warum jemand zusätzlich zu seiner persönlichen Arbeit noch Gemeinschaftsarbeit leisten soll, sondern Ausdruck gelebter Verantwortung.

Beitragen statt fordern

Der passive Anspruch an den sozialen Organismus zehrt diesen Organismus aus, das Beitragen bereichert ihn. Der Anspruch bezieht sich auf mich selbst, das Beitragen wendet sich den anderen zu und entwickelt so soziales Empfinden. Ohne dessen Verstärkung werden die notwendigen Entwicklungen nicht stattfinden können.

Grenzwächter werden

Wir können nicht mehr alle Vorgänge des sozialen Lebens einheitlich bestimmen. Werden aber unterschiedliche Sichtweisen zugelassen, dann müssen sich die Gemeinschaften auf die Rolle des Grenzwächters zurückziehen. Es geht jetzt nicht mehr darum von außen zu beurteilen, ob etwas falsch oder richtig ist, sondern zu spüren, ob etwas „zu weit geht", eine gewisse Grenze überschreitet. Grenzhüterqualität stützt sich auf Urbildverständnis. Es ist eine Übungsaufgabe, sensibel für Grenzüberschreitungen zu werden.

Reflexionskultur entwickeln

Eine Grenzüberschreitung kann nur erkannt werden, wenn wir reflektieren. Ohne Reflexion verlieren wir die Fähigkeit der Richtungsbestimmung. Verantwortliches, freiheitliches Verhalten verlangt nach einer adäquaten Reflexionskultur.

Bemessen am Ganzen

Die Grenze zu hüten, gelingt nur, indem wir bei unseren Handlungen immer auch das Ganze im Hintergrund befragen. Damit klingt wieder das Urbildthema an, diesmal als Bild einer Gemeinschaft. Wir müssen lernen, dem Ganzheitsgesichtspunkt in den Strukturen und Prozessen des sozialen Lebens Geltung zu verschaffen.

Rudolf Steiner führt in der bereits genannten Passage weiter aus: „Wenn nicht rechte Quellen vorhanden sind, aus denen die Kräfte, welche in diesen Urgedanken liegen, immer von Neuem dem Sozialen Organismus zufließen, dann nehmen die Einrichtungen Formen an, die nicht lebenfördemd, sondern lebenhemmend sind."6 Man muss jedoch keine Angst davor haben, sondern: „Diese Erschütterungen werden nur dann nicht eintreten, wenn der soziale Organismus in der Art gestaltet ist, dass in ihm jederzeit die Neigung vorhanden sein kann zu beobachten, wo eine Abweichung von den durch die Urgedanken vorgezeichneten Ein-richtungen sich bildet und wo zugleich die Möglichkeit besteht, dieser Abweichung entgegenzuarbeiten, ehe sie eine Verhängnis tragende Stärke gewonnen hat."'

Die Erschließung des Verständnisses der im sozialen wirkenden Urgedanken und die Reflexion der realen Erscheinungsformen vor ihrem Hintergrund bilden die beiden Pole eines Rhythmus, dessen Wirksamkeit wir auf dem Weg unserer Verselbstständigung aus der staatlichen Überkompetenz dringend benötigen.

1 Johann Wolfgang von Goethe, Das Märchen. Erschienen 1795 in der von Friedrich Schiller herausgegebenen Zeitschrift „Die Horen", als letzter Beitrag von Goethes Novellenzyklus „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter".

2 Rudolf Steiner, Vier Mysteriendramen: Die Pforte der Einweihung; Die Prüfung der Seele; Der Hüter der Schwelle; Der Seelen Erwachen. GA 14.

3 Anfangssatz in GA 10.

4 Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen,

in einer Reihe von Briefen (1795), Reclam-Taschenbuch

5 Rudolf Steiner, Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft. GA 23, Dornach 1976, S. 92.

6 a.a.O. S. 92f.

7 a.a.O. S. 93